Tod am Wörthersee by Nagele Andrea

Tod am Wörthersee by Nagele Andrea

Autor:Nagele, Andrea [Nagele, Andrea]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863584214
Herausgeber: Emons
veröffentlicht: 2015-03-08T16:00:00+00:00


17

Ännchen.

Da steht sie, mit dem Rücken zu mir, und dirigiert. Die Enden ihres schwarzen Pinguin-Blazers schwingen bei jeder Bewegung fröhlich mit.

Ännchen lebt!

Sie ist weder ermordet worden noch sonst irgendwie tot.

Überwältigt von dieser jähen Erkenntnis, poche ich wild an das Fenster des Proberaums im Tiefparterre. Dabei muss ich mich so weit über die Strauchbegrenzung vor dem Theater beugen, dass ich fast kopfüber durch die Scheibe fliege. Im letzten Moment gelingt es mir, mich mit den Beinen in den Büschen zu verankern, doch dabei knallt mein Kopf laut gegen das Glas. Alle im Raum drehen sich ruckartig um und starren mich an. Auch Ännchen.

Erschüttert erkenne ich, dass ich einem Trugbild meiner Phantasie aufgesessen bin.

Denn das hier ist nicht Ännchen.

Fritz Liensche im dunklen Frack starrt mich unter seinen wilden Augenbrauen vorwurfsvoll an. Er ist der Chef des Orchesters.

Ich drücke mich vom Fenster ab und lasse mich auf den Boden vor dem Strauch fallen. Verdeckt vom dichten Grün, bin ich geschützt vor den neugierigen Blicken der Orchestermitglieder. Es riecht unerträglich nach frisch gemähtem Gras.

Was will ich hier überhaupt?

Eine Woche nach dem Begräbnis meiner Großmutter, das ich wie geplant verschlafen habe, stehe ich hier auf dem Kiesweg vor dem Theater. Trotz der hellen Farbe und den vielen Schnörkeln wirkt das Gebäude auf mich abweisend. Im von steinernen Engeln gesäumten Teich baden Enten. Die Blätter der Bäume rascheln im Wind und Vogelstimmen zwitschern in den Kronen.

Dass ich schon tagelang hierherspazierte, lag nicht nur am strahlenden Wetter. Ich wollte meiner Freundin nahe sein. So nahe, dass ich mich bei meinen Besuchen leise an das Fenster schlich und Ännchens Kollegen bei den Proben beobachtete. Bis ich sie eben gerade selbst dirigieren sah.

Oder ihr Phantom.

»Was fällt Ihnen denn ein?«, unterbricht jemand meine Gedanken.

Unsanft werde ich an meinen Armen aus dem Gras hochgezogen. Erst als ich die Sonne wegblinzle, erkenne ich Fritz Liensche. Er ist das, was man gemeinhin einen schönen Mann nennt. Angefangen mit seinem Namen, über die Schuhspitzen bis hin zu den strahlenden Augen stimmt alles an ihm. Sogar das kecke Seidentuch um seinen Hals. Mir fällt ein, dass Ännchen eine Zeit lang heftig für ihn geschwärmt hat. Sogar die Erinnerung daran tut weh. Ich beiße mir auf die Unterlippe und mache mich von ihm los.

»Sorry.« Mehr kriege ich nicht heraus.

»Also, was war das gerade? Sind Sie von der Zeitung? Oder bespitzeln Sie jemanden von uns?« Er macht einen Schritt zurück auf den Kiesweg und sieht mich prüfend an.

»Ich bin Ännchens Freundin Alice.«

»Ach«, sagt er und verzieht schmerzvoll sein schönes Gesicht. »Eine Freundin unseres Ännchens. Dann sei Ihnen der Spionageakt verziehen.« Er lächelt, wird aber sofort wieder ernst. »Ein unersetzbarer Verlust. Zuerst der schlimme Unfall. Und dann das.«

Etwas klingt in mir nach. Der Autounfall hatte mit dem, was danach passierte, doch nichts zu tun. Will Liensche das etwa andeuten?

Inzwischen sind andere Orchestermitglieder gekommen und stehen in einiger Entfernung von uns am Weg. Ich erkenne Moni, die Cellistin, die mir zaghaft zulächelt.

»Weiß man schon, wann Ännchen begraben wird?« Liensche betrachtet mich aufmerksam. »Wir alle, das gesamte Orchester, würden gern Ännchen zu Ehren eines unserer Stücke bei der Beerdigung zum Besten geben.



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